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Weblogs in der universitären Lehre | #wbgavie

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Überarbeitete Version meines Inputs zum Workshop „Bloggen in Geschichtswissenschaft und Archivwesen“, Wien 10.11.2014

An der Universität Wien begannen in der Studienrichtung Geschichte Lehrveranstaltungen mit Weblogeinsatz im Sommersemester 2006, im Rahmen der von Wolfgang Schmale abgehaltenen Lehrveranstaltung Informatik und Medien in den Geschichtswissenschaften; das entsprechende Blog zur Vorlesung wurde von Martin Gasteiner auf der Weblogplattform Twoday eingerichtet und ist bis heute unter der Adresse elet.twoday.net zugänglich; von dort aus sind des weiteren Weblogs verlinkt, die einige Studierende dazu einrichteten und in denen sie sich mit den Möglichkeiten beschäftigten, die das Medium Internet für die Geschichtswissenschaften bietet. Im darauffolgenden Semester leitete Wolfgang Schmale wieder eine solche Lehrveranstaltung, begleitet durch die zwei TutorInnen Martin Gasteiner und Marion Romberg; zu den Aufgaben, die die Studierenden zu erfüllen hatten, zählte u. a. die Führung eines lehrveranstaltungsbegleitenden Weblogs.((1)) Neben dieser einschlägigen Lehrveranstaltung zum Einsatz des Internets in den Geschichtswissenschaften((2)) leitete Wolfgang Schmale im selben Semester eine weitere zur „Wissenschaftlichen Text- und Wissensproduktion“ mit dem Thema Europäische Einheit.((3)) Auch hier hatten die TeilnehmerInnen Weblogs einzurichten; deren abgeforderte Postings ermöglichten es, den Arbeits- und Denkprozess der einzelnen BlogerInnen mitzuverfolgen, ihnen gleichsam beim forschenden Schreiben über die Schultern zu blicken.

In meiner eigenen Lehrtätigkeit begann ich 2004 damit, Teile meiner Lehrveranstaltung Digitale Medien in der Geschichtswissenschaft in Form von E-Learning abzuhalten; dies war schlicht durch eine Erhöhung der TeilnehmerInnenzahl der Lehrveranstaltung bedingt, die regelmäßige Präsenztermine im EDV-Raum unmöglich machte, weswegen ich Hinweise auf Lerninhalte in Form von E-Mails verschickte und die StudentInnen ihrerseits zu erbringende Übungsaufgaben wiederum per E-Mail an mich zu senden hatten. Weblogs verwendete ich ab dem Sommersemester 2008: Zentrales Medium war ein Lehrveranstaltungsweblog – tantner.twoday.net –, in dem ich im wöchentlichen Rhythmus Hinweise auf durch die Studierenden zu konsultierende Lehreinheiten auf der E-Learningplattform „Geschichte Online“ postete, ergänzt um jeweils dazu durchzuführende Übungsaufgaben.

Diese Übungsaufgaben wurden von den Studierenden in eigens einzurichtenden persönlichen Weblogs erledigt, dazu zählten neben der bereits erwähnten Aufforderung, eine eigene Position zum Einsatz der Wikipedia zu entwickeln unter anderem die Vornahme und Protokollierung einer Recherche zu einem selbstgewählten Thema in nur auf Papier vorhandenen Referenzwerken sowie der Vergleich des Ergebnisses einer jeweils einstündigen Recherche nach Literatur zum einen mittels Google, zum anderen mittels fachspezifischer Datenbanken.

Insgesamt hielt ich zwischen 2008 und 2012 fünf Lehrveranstaltungen mit Weblogeinsatz ab, die TeilnehmerInnenzahlen schwankten zwischen 20 und 115 Studierenden, wobei mich Marian Wimmer als Tutor dabei unterstützte, indem er unter anderem die zeitaufwändige Arbeit des Einspeisens der RSS-Feeds der zuweilen doch recht große Anzahl von Blogs in einen Feedreader übernahm. Nur die wenigsten Weblogs wurden nach Ende der Lehrveranstaltungen weitergeführt, wobei es durchaus sein mag, dass manche Studierende ihre neu erworbenen Blogkenntnisse zum Anlass nahmen, ein neues Weblog einzurichten. Ohne auf genaue Untersuchungen zurückgreifen zu können, scheint es, dass in diesen Jahren eher die mobilen und höhersemestrigen StudentInnen Weblogs führten, um entweder über ihre Erasmus-Auslandsaufenthalte oder ihre Diplomarbeits-/Dissertationsthemen zu berichten; diese als erstes genannte Verwendungsweise von Weblogs als Reisetagebücher für die zu Hause gebliebenen FreundInnen wurde seither wohl vor allem durch Facebook abgelöst.

Eine digitale Zelle in der Kontrollgesellschaft?

Mit dem Instrument des Weblogs ist es möglich, die Ergebnisse von Lernprozessen nicht mit teils sinnentleerten Prüfungen festzustellen, sondern diese in regelmäßig von den Studierenden geposteten Weblog-Einträgen dokumentieren zu lassen, wobei das Spektrum von klar umrissenen und in kurzen Postings zu erfüllenden Übungsaufgaben über eigenständige Reflexionen zu Lehrveranstaltungsinhalten bis hin zu offenen, zum Beispiel Seminararbeiten begleitende Forschungstagebüchern reichen kann.

Wichtig erscheint mir jedenfalls, dass Lehre, die Weblogs einsetzt nicht von vornherein als den StudentInnen gegenüber freundlicher oder unschuldiger imaginiert werden sollte, als zum Beispiel Lehre, die sich des Instruments der Prüfung bedient; wer der von Gilles Deleuze postulierten Annahme eines spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg feststellbaren Übergangs von den Disziplinar- zu den Kontrollgesellschaften folgt,((4)) wird eine solche Verschiebung in der Beurteilung studentischer Leistung eher machttheoretisch einordnen: Die Prüfung – analysiert in Foucaults Überwachen und Strafen((5)) – ist demnach charakteristisch für die Disziplinargesellschaften, während in den Kontrollgesellschaften die kontinuierliche Begleitung und Beurteilung der Leistungen auf der Agenda steht; der Einsatz von Weblogs ist ein Beispiel für eine den Kontrollgesellschaften adäquate Machttechnik und bringt seinerseits wieder Problemlagen und auch Widerstände mit sich.

So war meiner Erfahrung nach das für die Studierenden wichtigste Problem, das bei Lehrveranstaltungs-Weblogs auftauchte, das nach dem Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit. Ich hatte es von vornherein den Studierenden überlassen, ob sie ihr Weblog anonym – so dass nur ich ihren Namen wusste – oder unter Angabe ihres eigenen Namens führen wollten, und es zeigte sich dabei, dass vor allem die politisch wacheren TeilnehmerInnen der Lehrveranstaltung es bevorzugten, anonym zu posten. Aus den verschiedenen Weblogs stach dabei insbesondere eines wie ein monologischer Block hervor: Unter panopticontra.blogspot.co.at verglich der/die anonyme UserIn seine/ihre Position im Weblog mit der Position eines Zelleninsassen/einer Zelleninsassin des Foucaultschen Panoptikums und kam immer wieder zu überraschenden Einsichten, wie folgende Ausschnitte aus den ersten zwei Postings dieses Blogs zeigen:

Das Internet ist das Gefängnis, die Menagerie unserer virtuellen Subjektivitäten. Die Weblogs sind unsere Zellen und Gehege, in denen wir uns ausstellen und wir beobachtet werden, in denen wir uns in Entsprechung und Besserung üben und um Gunst und (An)Erkennung buhlen. In diesen unseren Räumen und Providerparzellen begegnen wir uns als Aufseher und Gefangene, als Beobachter und Beobachtete.
Ich schreibe in das Dunkel der Anonymität des Internet, werde geblendet vom Licht des Aufsichtsturms, weiß nur, dass ich ständig beobachtet werden kann. Das Internet gibt Milliarden Aufsehern die Möglichkeit dazu. So werde ich hier immer wieder jene Notiz verfassen, die du von mir nimmst. Für die Interessierten werde ich versuchen, interessant zu sein, für die Aufseher brav und diszipliniert.((6))

Dieser Blog ist ein Experiment.
Der Autor, der hierfür mit seinem Namen beim Provider seinen Kopf hinhält, aber hier aus gutem Grund nicht mit seinem Namen auftritt, unterscheidet sich innerhalb R:/ nur in seiner Funktion von mir. Ich gestalte diesen Blog, denke mir seine noch sporadischen Inhalte aus und bewohne diese Zelle.
Der Autor, meine traurige physische Entsprechung, ist hier nur in soweit involviert, als dass er und seine praktischen Beweggründe Ausgangspunkt der Ingangsetzung unseres bloggenden Handelns ist. Er hat über dieses Medium das ein oder andere mal Rechenschaft über seine erbrachten Leistungen abzulegen; er hat den Blog angelegt. Ich bin lediglich das Wie, eine Modalität; ich bin der Geist, der hier Leben (?) hereinzaubern soll, und ich habe eine Idee, um nicht zu sagen, ich bin eine Idee. Ich bin Text, der sich formiert, um zu sehen, ob er funktionieren kann, und ich teile diesen Raum aus pragmatischen Gründen.((7))

Derlei Positionen sollten unbedingt für eine Diskussion über den Einsatz von „Social Software“ in der Lehre herangezogen werden; zu bedenken wären dabei unter anderem folgende Fragen: Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine/n Studierende/n, die Anonymität zu verlassen und mit einem Fachweblog an die Öffentlichkeit zu gehen? Soll ein die Diplomarbeit begleitendes Weblog anonym geführt werden, wie dies längere Zeit Cathleen Sarti mit ihrem Weblog Zwergenblick((8)) betrieb, bevor sie ihren Namen preisgab? Oder soll das Bloggen unter dem eigenen Namen möglichst früh erfolgen, und zwar am besten im Rahmen eines Gruppenweblogs, wie es Peter Haber vorschlug?((9))

Mittlerweile ist der Einsatz von Weblogs in der Lehre zwar nicht überholt, kann aber durch die Möglichkeiten der verschiedenen immer mehr Verbreitung findenden E-Learning-Plattformen zumindest ergänzt, wenn nicht sogar ersetzt werden: Derlei E-Learning-Plattformen bieten einen etwas geschützteren Raum, da die mitlesende „Öffentlichkeit“ zum Beispiel auf die jeweiligen LehrveranstaltungsteilnehmerInnen beschränkt werden kann. So ließ ich in einigen meiner Lehrveranstaltungen, die ich im Sommersemester 2014 an der Universität Wien im Rahmen einer Gastprofessur abhielt, Studierende ihre Postings in der E-Learningsplattform Moodle verfertigen: Da keine Weblogsoftware zur Verfügung stand – diese zunächst vorhanden gewesene Möglichkeit war eingestellt worden – dienten als Ersatz Foren, die nur für die TeilnehmerInnen der Lehrveranstaltung zugänglich waren. Vielleicht wird dies ein in Zukunft häufiger beschrittener Weg sein, zunächst studentische Texte im Verborgenen bzw. geschützt zu posten, bevor dann in einem weiteren Schritt diese Texte einer potentiell größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Zu bedenken ist auf jeden Fall, dass das öffentliche Posten von Texten unter eigenem Namen nicht als etwas Selbstverständliches angesehen werden sollte, sondern eine Praxis, die viele Studierende erst erlernen und einüben müssen.

Eine Forderung

Abschließend soll eine bereits an anderer Stelle erhobene dringliche Forderung((10)) wiederholt werden, die sich insbesondere an für das Prüfungswesen und Promotionsordnungen Verantwortliche richtet: Studierende, die an einer Masterarbeit oder an einer Dissertation arbeiten, sind oft sehr verunsichert, was die Vorab-Veröffentlichung von Teilen ihrer Arbeit in einem Weblog anbelangt, aus der zuweilen berechtigten Furcht, dass eine solche Vorgangsweise bei der Plagiatsprüfung der eingereichten Abschlussarbeit inkriminiert wird. Hier ist es nötig, Klarheit zu schaffen und solche Publikationsformen explizit zu erlauben, wäre der ideale Ablauf in einem wissenschaftlichen Produktionszyklus unter derzeitigen Bedingungen doch der, dass Studierende von ihnen verfasste Textfragmente zuerst in einem Weblog zur Diskussion stellen, worauf etwaige Kommentare und Reaktionen in einer endgültigen Version berücksichtigt werden können. Bei einer solchen Vorgangsweise wird es oft vorkommen, dass in einem solchen – zum Beispiel dissertationsbegleitendem – Weblog veröffentlichte Texte unverändert in die Abschlussarbeit übernommen werden, was als selbstverständlicher Bestandteil des Entstehungsprozesses einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit betrachtet werden sollte. Der Handlungsbedarf ist hier umso dringender, als spätestens in der Master- oder Dissertationsphase Studierende nicht davon abgehalten, sondern ermuntert wenn nicht sogar aufgefordert werden sollten, Weblogs zu führen, da dies den Einstieg in den Schreibprozess fördert und sich nur positiv auf die Qualität der Abschlussarbeit auswirken kann.

  1. Eine Liste der eingerichteten Weblogs findet sich unter: <http://www.univie.ac.at/geschichte-M4/wordpress/?page_id=4>.
  2. Dazu: Wolfgang Schmale u. a., E-Learning Geschichte, Wien/Köln/Weimar 2007, 161–166; siehe auch: Jakob Krameritsch/Martin Gasteiner, Schreiben für das WWW: Bloggen und Hypertexten, in: Wolfgang Schmale (Hg.): Schreib-Guide Geschichte. Schritt für Schritt wissenschaftliches Schreiben lernen. Wien/Köln/Weimar 2006, S. 231–271.
  3. <http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/ws2007-2008/ku_ws2007_index.htm>.
  4. Gilles Deleuze, Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, in: Ders.: Unterhandlungen. 1972-1990. Frankfurt am Main 1993, 254–262, hier 254f.
  5. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 91991, 238–250.
  6. R:/, Willkommen, in: PANOPTICÖNTRA. Weblog und Zelle von R:/ in der digitalen Disziplinaranstalt, 8.3.2008, <http://panopticontra.blogspot.co.at/2008/03/willkommen.html>.
  7. R:/, Wer spricht hier?, in: Ebenda, 9.3.2008, <http://panopticontra.blogspot.co.at/2008/03/willkommen.html>.
  8. <http://zwergenblick.wordpress.com/>.
  9. Peter Haber, Ein Weblog ist ein Weblog ist ein Weblog, in: weblog.hist.net, 28.3.2008, <http://weblog.histnet.ch/archives/890> (Kommentar).
  10. Anton Tantner, Publikation, in: Historische Mitteilungen 26/2013, 112–114.

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